Anthroposophische Medizin

Die anthroposophische Medizin (auch: anthroposophisch erweiterte Medizin, von altgriechisch ἄνθρωπος ánthrōposMensch‘ und σοφία sophiaWeisheit‘) ist eine auf pseudowissenschaftlichen und okkulten Annahmen beruhende Alternativmedizin, die auf der Grundlage der Anthroposophie Rudolf Steiners (1861–1925) die Medizin erweitern will. Sie wird vor allem in Deutschland und der Schweiz praktiziert.

In Deutschland hat die anthroposophische Medizin als Außenseitermethode[1] seit 1978 den rechtlichen Status einer „besonderen Therapierichtung“, die ihr einen Binnenkonsens sichert. Daher ist für die Zulassung anthroposophischer Arzneimittel ein Wirksamkeitsnachweis in der sonst üblichen Form nicht erforderlich, und es sind dabei auch die „medizinischen Erfahrungen“ und die „Besonderheiten“ dieser Therapierichtung zu berücksichtigen.[2]

Anthroposophische Vorstellungen über Einteilung, Entstehung und Verlauf von Krankheiten sind mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht zu vereinbaren.[3] Nach Einschätzung durch Autoren der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und verschiedene Reviewautoren liegen für die Anwendung anthroposophischer Heilmittel nur unzureichende Wirksamkeitsstudien vor. Zwar gibt es kontrollierte Versuchsreihen für die Behandlung von Tumorpatienten mit Mistelpräparaten, aber weder eine Wirkung auf die Tumorprogression noch auf die Überlebenszeit gelten als gesichert.[4][5] Die deutsche Bundesärztekammer stellte 1993 in einem Memorandum fest, dass die Anthroposophische Medizin nicht zu den „objektiv wirksamen Behandlungsverfahren“ gehöre.[6]

Die anthroposophische Medizin stützt sich zur Erforschung der Phänomene des Physischen, Lebendigen, Seelischen und des Geistes nach eigenem Verständnis sowohl auf die Prinzipien der Naturwissenschaft als auch auf die anthroposophische „Geisteswissenschaft“, die eine Erweiterung der Erkenntnis durch „höhere“ Erkenntnisformen postuliert, durch die unter anderem vier „Wesensglieder“ des Menschen („physischer Leib“, „Ätherleib“, „Astralleib“ und „Ich-Organisation“) als ursächlich wirksam in den genannten Phänomenbereichen beschrieben werden könnten. Erkrankungen werden unter anderem als „Disharmonie der Wesensglieder“[7] gedeutet, und Therapien werden mit dem Ziel eingesetzt, durch die Überwindung der Krankheit ein neues Gleichgewicht zu finden. Zu den anthroposophischen Therapien zählen neben der Anwendung von Heilpflanzen wie z. B. der Misteltherapie bei Krebs und homöopathischer Präparate auch Heileurythmie, Farbtherapie, die Rhythmische Massage nach Ita Wegman sowie anthroposophische Ansätze heilkundlicher Anwendungen künstlerischer Prozesse (Kunst- und Maltherapie, Plastizieren, Musiktherapie).

  1. Robert Jütte (1996), S. 15.
  2. § 25 Absatz 2 AMG und § 105 Absatz 4f AMG
  3. Barbara Burkhard: Anthroposophische Arzneimittel. Eine kritische Betrachtung. GOVI, Eschborn 2000, ISBN 3-7741-0810-2, S. 13 (Buchfassung einer Artikelserie in der Pharmazeutischen Zeitung).
  4. Markus Horneber, Gerd Bueschel, Roman Huber, Klaus Linde, Matthias Rostock: Mistletoe therapy in oncology. In: Cochrane Database of Systematic Reviews. 16. April 2008, doi:10.1002/14651858.CD003297.pub2 (wiley.com [abgerufen am 20. August 2019]).
  5. W. Tröger, D. Galun, M. Reif, A. Schumann, N. Stanković: Viscum album [L.] extract therapy in patients with locally advanced or metastatic pancreatic cancer: A randomised clinical trial on overall survival. In: European Journal of Cancer. Band 49, Nr. 18, Dezember 2013, S. 3788–3797, doi:10.1016/j.ejca.2013.06.043 (elsevier.com [abgerufen am 20. August 2019]).
  6. Bundesärztekammer: Arzneibehandlung im Rahmen „besonderer Therapierichtungen“, 2. Auflage, Deutscher Ärzteverlag, Köln 1993. Zitiert bei: Manfred Anlauf, Lutz Hein, Hans-Werner Hense, Johannes Köbberling, Rainer Lasek, Reiner Leidl, Bettina Schöne-Seifert: Komplementäre und alternative Arzneitherapie versus wissenschaftsorientierte Medizin In: GMS Ger Med Sci 2015;13:Doc05. doi:10.3205/000209.
  7. Thomas McKeen: Alternativen in der Medizin. Behandlungsformen zwischen Wissenschaft und Empirie. Hrsg.: Klaus Jork. 1. Auflage. Hippokrates, Stuttgart 1993, ISBN 978-3-7773-1037-4, Anthroposophische Medizin, S. 152.

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